ALS Ambulanz

Die Sprechstunde der Ambulanz für ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) und andere Motoneuronerkrankungen richtet sich an Patienten mit der Verdachtsdiagnose bzw. einer gesicherten Diagnose einer ALS und ausdrücklich an deren Angehörige oder den Patienten nahestehende Personen. Thematisiert werden u.a. die verschiedenen Phänotypen der ALS (= unterschiedliche Erkrankungsverläufe), individuell unterschiedliche Prognosen sowie mögliche therapeutische Ansätze.

Der Schwerpunkt der ambulanten Betreuung liegt neben der Diagnosesicherung auf der Symptomkontrolle verschiedener typischer Beschwerden sowie der Hilfsmitteloptimierung, Stichworte hierbei sind Ernährung, Atemhilfe, Kommunikationshilfsmittel, Umfeldsteuerung, Pflegeerleichterung usw.

Spezialsprechstunden für Motoneuronerkrankungen (MND) wie der ALS werden nur an wenigen Kliniken in Deutschland angeboten. Diese konzentrierte Betreuung von ALS-Patienten an wenigen Standorten birgt jedoch die Möglichkeit einer qualitativen Verbesserung der Versorgung und auch der z. B.  Palliativmedizinischen Betreuung der Patienten.

Beschreibung der ALS

Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine chronische, degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems. Dabei kommt es zu einer fortschreitenden Zerstörung (Degeneration) spezifischer Nervenzellen des motorischen Nervensystems. Diese relative Spezifität ist auch typisch für andere Neurodegenerative Erkrankungen wie die Parkinsonerkrankung oder die Alzheimer Demenz, nur sind hierbei andere Zellen betroffen.

Bei der ALS sind die sog. Motoneurone (MN) des Gehirnes (erstes MN) und des Rückenmarkes (zweites MN) betroffen, die für die willkürliche Steuerung der Skelettmuskulatur verantwortlich sind. Bei der ALS kommt es zu einer Schädigung beider motorischer Neurone. Diese Schädigung beginnt wahrscheinlich bereits viele Jahre oder Jahrzehnte vor Auftreten der ersten neurologischen Symptome.

Neurologische Symptome sind dabei Muskelschwäche und Muskelschwund (Zeichen einer Schädigung des 2ten MN) sowie eine Steifigkeit (Spastik) der Muskulatur (Zeichen einer Schädigung des 1ten MN). Charakteristisch für die ALS sind also ein Muskelschwund mit Muskelschwäche bei gleichzeitig bestehender Spastik mit Reflexsteigerung bzw. erhaltenen Muskeleigenreflexen in gelähmten Muskelgruppen. Diese Befundkonstellation ist in der klinisch neurologischen Untersuchung objektivierbar und wesentliche Grundlage für die Verdachtsdiagnose einer ALS.

Kleine, unwillkürliche und kurzzeitige Bewegungen innerhalb von Muskelgruppen (Faszikulationen) ohne Bewegungseffekt auf ein Gelenk treten zwar typischerweise bei Patienten mit einer ALS auf, allerdings findet man Faszikulationen viel häufiger bei einer ganzen Reihe von sehr unterschiedlichen neurologischen Erkrankungen und auch bei gesunden Personen. Die Verdachtsdiagnose einer ALS alleine auf Grund des Auftretens von Faszikulationen ist daher auf keinen Fall gerechtfertigt.

Andere klinische Symptome wie Empfindungsstörungen von Berührung, Schmerz und Temperatur (Sensibilität) finden sich bei der ALS in der Regel nicht und können Hinweis auf eine andere Diagnose oder eine zusätzliche Erkrankung (z.B. Diabetes mellitus mit Polyneuropathie) sein.

Diagnostik der ALS

Die Diagnose einer ALS wird auf Grund der klinisch neurologischen Untersuchung gestellt. Die Durchführung der zum Teil ausführlichen Zusatzdiagnostik dient dem Ausschluss anderer Erkrankungen, die mit einer ALS verwechselt werden könnten oder aber eine ALS ähnliche Symptomatik verursachen können (z. B. bösartige Erkrankungen). Dieses ist besonders wichtig, weil sich bei „ALS-ähnlichen“ Krankheiten evtl. therapeutische Konsequenzen ergeben können. Wichtig sind elektrophysiologische Untersuchungen wie die Elektromyographie (EMG) und die Elektroneurographie (ENG), mit der Erkrankungen der peripheren Nerven (motorische Neuropathien) und der Muskulatur nachgewiesen oder ausgeschlossen werden können. Bei der EMG kann durch den Einstich dünner, steriler Nadeln in bestimmten Muskelgruppenn die elektrische Aktivität der entsprechenden Muskeln aufgezeichnet und untersucht werden. Hierbei können Veränderungen der vorgeschalteten Nerven oder aber der Muskulatur selber nachgewiesen werden. Bei der ENG werden ausgewählte Nervenkabel (Ausläufer des zweiten MN) im Bereich der Arme und Beine mit elektrischen Impulsen untersucht. In nur wenigen Fällen ist eine Gewebeentnahme aus einem Muskel (Muskelbiopsie) erforderlich, sie erfolgt insbesondere bei Verdacht auf eine Muskelerkrankung (z.B. Einschlusskörpermyopathie). Die Entnahme der Muskulatur und die mikroskopische Untersuchung des Muskelgewebes sollte spezialisierten Muskelzentren vorbehalten sein und wird in unserer Klinik in einem spezialisiertem Labor als Teil des Muskelzentrums Ruhrgebiet durchgeführt. Die Nervenbiopsie z.B. aus einem kleinen Hautnerv im Bereich der Wade (N. suralis) kann bei Hinweisen auf bestimmte Erkrankungen der peripheren Nerven (Neuropathie) veranlasst werden. Beide Verfahren werden bei der Diagnostik einer ALS eher selten und nach spezieller Aufklärung im Rahmen einer stationären Diagnostik durchgeführt. Andere Erkrankungen, die bei der Diagnosefindung ausgeschlossen werden sollten, sind neben Myopathien und Neuropathien beispielsweise mechanische Beeinträchtigungen des Rückenmarks (z.B. zervikale Myelopathie), seltene Stoffwechselstörungen mit Veränderungen der sog. weißen Substanz des Gehirnes (Leukencephalopathien), neurologische Folgeerkrankungen von Tumoren (paraneoplastische Syndrome) und Folgen von Durchblutungsstörungen des Gehirnes oder Rückenmarkes. Es werden daher je nach Fragestellung verschiedenste bildgebende Verfahren (cerebrale und spinale Kernspintomographie = MRT), Blutuntersuchungen sowie die Analyse des Nervenwassers (Liquorpunktion) durchgeführt.

Therapie der ALS

Eine ursächliche Therapie mit Stillstand der Symptomatik oder Heilung ist weltweit nicht verfügbar, weder in der klassischen Schulmedizin noch durch alternative Therapieverfahren und ist auch nicht von finanziellen Ressourcen abhängig.

Die ALS ist dennoch eine behandelbare Krankheit. Man unterscheidet die sog. neuroprotektive Therapie, die eine Verlangsamung der Erkrankung erzielen soll sowie die pallaitivmedizinische Therapie mit Symptomkontrolle, also der Behandlung von ALS-bedingten Beschwerden und Behinderungen und der Verbesserung bzw. dem Erhalt der Lebensqualität.

Als neuroprotektive Therapie ist ein Behandlungsversuch mit Rilutek® indiziert. Es handelt sich hierbei um ein Medikament, das auf Grund klinischer Studien und der nachgewiesenen positiven Wirkung auf den Verlauf der Amyotrophen Lateralsklerose zur Behandlung dieser Erkrankung zugelassen ist. Die Skepsis auch ärztlicher Kollegen auf Grund des Preises des Medikamentes ist daher nicht gerechtfertigt, die Behandlung sollte bereits bei dem Verdacht auf das Vorliegen einer ALS begonnen werden (50mg: 1-0-1). Allerdings gibt es wenige Patienten, die Rilutek® nicht vertragen und zum Beispiel gastrointestinale Symptome wie Übelkeit und Inappetenz entwickeln, dann muss die Behandlung ausgesetzt werden.

Symptomische Therapie der ALS

Speichelfluss
Die Sialorrhoe (Vermehrte Speichelmengen im Mund, z. T. mit Austreten aus dem Mund) tritt mit Auftreten einer Schluckstörung auf und belastet die Patienten häufig sehr stark. Von der Sialorrhoe zu unterscheiden sind jedoch die Eindickung des Schleimes und eine vermehrte Bronchialsekretion (s. u.) sowie eine Störung des Abhustens durch eine Schwäche der Atem- und Atemhilfsmuskulatur. Verschiedene Medikamente, die die Speichelproduktion hemmen, stehen zur Verfügung. In der Regel erfolgt die Behandlung mit Amitriptylin (z.B. Saroten®), da es bei diesem Antidepressivum zu einer ausgesprochenen Mundtrockenheit als Nebenwirkung kommt (anti-cholinerger Effekt). Alternativ oder in Kombination erfolgt die Behandlung mit einem sog. Scopolamin-Pflaster (z.B. Scopoderm TTS®) oder Atropin (z.B. Tropfen, Atropin sulfuricum AWD Tabletten®). Vor einer entsprechenden Behandlung sollte zumindest eine EKG-Untersuchung erfolgen oder eine Absprache mit dem Hausarzt erfolgen.

Bei unzureichender Wirkung insbesondere im Verlauf der Erkrankung kann als Alternative oder als Ergänzung der oralen Medikation eine lokale Applikation von Botulinumtoxin Typ A (BoNT-A: Dysport®, Botox® oder Xeomin®) in die Speicheldrüsen erfolgen. Hierzu erfolgt eine ultraschallgesteuerte Injektion in die Ohrspeicheldrüse (Glandula parotis) sowie hauptsächlich in die Speicheldrüse unterhalb des Unterkiefers (Glandula submandibularis). Die sog. chemische Denervierung der Speicheldrüsen führt zu einer Verringerung der Speichelproduktion für etwa 3-4 Monate. Vor der ersten Behandlung muss jedoch eine Kostenzusage des Kostenträgers vorliegen, da es sich um einen sog. „Off-label-use“ handelt. Insgesamt steht aber mit der lokalen BoNT-Injektion eine sehr wirkungsvolle und nebenwirkungsarme Therapie zur Verfügung, die uneingeschränkt empfohlen werden kann, wenn die Voraussetzungen gegeben sind.


Kau- und Schluckstörung
Durch eine Schwäche der Kau- und Schlundmuskulatur kommt es zu einer Schluckstörung (Dysphagie). Ursache ist eine Degeneration der motorischen Neuronen im Hirnstamm (bulbäre Symptomatik) oder in übergeordneten Bereichen (pseudobulbäre Symptomatik). Häufiges Initialsymptom einer Bulbärsymptomatik ist das Verschlucken an Flüssigkeiten. Die Folgen der Schluckstörungen sind die Neigung zur Aspiration von Speichel und Nahrungsbestandteilen, eine zum Teil ausgeprägte Verlängerung der Dauer der Mahlzeiten sowie eine Verringerung der oralen Nahrungsaufnahme. Ein Gewichtsverlust tritt hingegen häufig schon vor Auftreten einer Schluckstörung als krankheitsimmanente Symptomatik auf. Mögliche Folgen einer Aspiration (unkontrolliertes Eintreten von Speichel und Nahrung in die Atemwege) sind akute Atemnot (Dyspnoe) durch Verlegung der Atemwege mit zum Teil ausgeprägten Angstzuständen und eine Entzündung des Bronchialsystems (Bronchitis) und der Lungen (Pneumonie). Bei Auftreten einer Dysphagie ist eine logopädische Behandlung mit funktionellem Schlucktraining (Erlernen wichtiger Kompensationsstrategien wie Verkleinerung der Schluckeinheiten, absichtliches Husten nach dem Schlucken etc.) indiziert.

Bei einer manifesten Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die Schluckstörung empfehlen wir bereits in einer frühen Phase die Anlage einer Ernährungssonde (perkutane endoskopische Gastrostomie = PEG). Ziel hierbei ist es, den Patienten eine Nahrungsaufnahme über den Mund als sog. „Genuss-Essen“ so lange wie möglich zu ermöglichen, unabhängig von der erforderlichen Ernährung, die zu Beginn zu einem kleinen Teil und später evtl. nahezu ausschließlich über die PEG erfolgen kann.

Spastik
Bei der ALS ist eine schwere behandlungsbedürftige Spastik relativ selten. Ziel der antispastischen Therapie ist eine Symptomkontrolle, also zum Beispiel eine Schmerzreduzierung durch eine Verminderung der erhöhten Muskelspannung bei gleichzeitigem Erhalt eines benötigten Haltetonus um evtl. auch eine funktionelle Verbesserung der Bewegungsmöglichkeit zu erzielen. Auch hier stellt die physiotherapeutische Therapie auf neurophysiologischer Basis die Methode der Wahl dar. Bei ausgeprägter Symptomatik ist die selbständige Therapie zu Hause an einem Bewegungstrainer sinnvoll.

Eine orale, medikamentöse Behandlung der Spastik kann z.B. mit  Tolperison (z.B.Viveo®, Mydocalm®), Baclofen (Lioresal®) oder Tizanidin (Sirdalud®) erfolgen. Sie ist jedoch in vielen Fällen problematisch, da häufig hohe Medikamentendosen erforderlich sind, in der Regel eine lokal akzentuierte Symptomatik vorliegt und die Gefahr des Auftretens unerwünschter Arzneimittelwirkungen besteht mit z. B. Müdigkeit, Gleichgewichtsstörung, Taumel, Schwäche u. a. Symptomen.

Sprechstörung
Eine Sprechstörung (Dysarthrie) ist eine weitere typische Symptomatik bei Manifestation des Krankheitsprozesses im sog. bulbären Bereich (s.o.) oder als pseudobulbäre Dysarthrie bei betonter Schädigung des zentralen, ersten Motoneurons (spastische Einflüsse). Eine sprechabhängige Atemnot (belastungsabhängige Dyspnoe) kann ebenfalls vorliegen. Therapie der Wahl ist die logopädische Behandlung, die z. B. in bukkofazialen Übungen sowie Atem- und Sprechübungen zur Nutzung der Restfunktionen des Sprechapparates besteht. Bei manifester Behinderung der Patienten ist die individuell angepasste Versorgung mit Kommunikationshilfen erforderlich.

Pathologisches Lachen/Weinen
Bei dem Symptom des pathologischen Lachens/Weinens handelt es sich um ein unkontrolliertes Lachen oder Weinen, das situativ und emotional nicht begründet ist. Hierbei handelt es sich um die Folge einer zentralen Schädigung  (zentrale Enthemmung, motorische Dysinhibition) und ist Ausdruck des sog. Pseudobulbärsyndroms. In erster Linie müssen hierbei der Patient und sein Umfeld über die Ursache der Beschwerden aufgeklärt werden.  Ein medikamentöser Behandlungsversuch kann erfolgen, wenn die Patienten durch die Symptome stark belastet sind. Zur verfügung stehen z. B. die Serotoninwiederaufnahmehemmern Citalopram (Cipramil ®) oder Fluvoxamin (Fevarin®) in hohen Dosierungen. Alternativ ist ein Behandlungsversuch mit L-Dopa (z.B. D: Nacom®, Madopar®) oder Lithium (z.B. Quilonum®) möglich, die Ergebnisse sind jedoch in der Regel schlechter.

Respiratorische Insuffizienz
Die Schwäche der Atem- und Atemhilfsmuskulatur ist ein regelhaftes Symptom der fortgeschrittener ALS und stellt den begrenzenden Faktor für die Lebenserwartung der Patienten dar. In der Regel kommt es aber nicht zum Ersticken (Sauerstoffmangel) sondern durch eine Hypoventilation zu einer Retention von Kohlendioxid mit entsprechender Bewusstseinstrübung. Die Symptome sind typischerweise nächtliche Schlafstörungen, Alpträume, Unruhezustände und Tachykardie, morgendliche Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Tagesmüdigkeit und Konzentrationsstörungen. Zur Behandlung der Symptome einer chronischen Hypoventilation ist eine nichtinvasive Maskenbeatmung möglich, hierbei kann in der Regel auf den Einsatz von Sauerstoff verzichtet werden. Im weiteren Verlauf besteht prinzipiell die Möglichkeit eines Luftröhrenschnittes (Tracheotomie) und die Durchführung einer invasiven maschinellen Beatmung, diese wird jedoch aktuell in Deutschland nur bei weniger als 10% der ALS-Patienten durchgeführt.

Leitung

Dr. Ute Weyen
Neurologische Universitätsklinik und Poliklinik
Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1
44789 Bochum

Tel.: 0234-302-0
E-Mail: ute.weyen­(at)bergmannsheil.de

Terminvergabe:

Sekretariat Neurologische Ambulanz
Frau Bochenek
Tel: 0234-302-6812

Anschrift ALS-Ambulanz:

Ambulanz für ALS und andere Motoneuronerkrankungen
Neurologische Klinik und Poliklinik
BGliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1
D-44789 Bochum
Tel.: 0234-302-6812
FAX: 0234-302-6888

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